Eschborn-Frankfurt: Platz 3 und ein Küsschen von Frau Degenkolb

Eschborn – Frankfurt, für viele noch unter dem Namen „Rund um den Henninger-Turm“ bekannt ist einer der wenigen deutschen Radklassiker. Von der UCI in die höchste Kategorie eingestuft, bei den Profis beliebt und von den Hessischen Radsportfans geliebt! Das Rennen, welches seit 1962 fast ausnahmslos stattgefunden hat, führt die Protangonisten vom Frankfurter Vorort Eschborn über eine große Runde durch den wunderschönen Taunus zurück in die Metropole Frankfurt. Unterwegs gibt es alles was das Radsportherz begehrt: Eine schnelle Startphase in der es >Highspeed< durch die engen Straßen von Eschborn und Frankfurt geht, einen schönen langen Anstieg über den großen Feldberg, viele giftige Stiche wie den Mammolshainer Berg und eine rasante Rückfahrt mit großem Finale in der Frankfurter Innenstadt vor der Kulisse der Alten Oper.

Sowohl die Berufsradfahrer, als auch die Amateure dürfen an diesem Tag auf fast gleicher Strecke fahren. Diese umfasst u.a. für die Amateure rund 108km, gespickt mit knapp 1500Hm. Die Profis dürfen das dann gleich zweimal fahren, die bekommen aber schließlich auch Geld dafür. Für mich sollte die Teilnahme an dem Amateurrennen der zweite Saisonhöhepunkt nach Paris-Roubaix werden und während in Nordfrankreich noch eher das Erlebnis von dem Ergebnis stand, so war ich bei diesem Rennen doch sehr interessiert und gespannt wohin die Reise geht und wie ich mich in diesem Feld behaupten kann.

Wie bei Jedermannrennen üblich, trifft hier automatisch die volle Bandbreite der Leistungsklassen ungefiltert aufeinander. Egal ob A-B-C-Lizenzfahrer oder gelegentlicher Feierabendrundendreher, jeder Mann (und Frau) dürfen und können sich anmelden. Sortiert wird nur am Start. 2tIm Vorfeld der Anmeldung muss man einen Geschwindigkeitsbeleg aus einem vorausgegangen Wettkampf einreichen umsich für einen bestimmten Startblock zu qualifizieren. Zu meinem Glück wurde das Ergebnis des Bodensee Megathlons von 2015 anerkannt und war damit meiner Eintrittskarte in den Startblock 1b, zusammen mit allen Anderen die sich in der Lage fühlten einen 36-38er Schnitt über die Renndistanz zu bringen. Insgesamt knapp 2000 Starter hatten für dieses Rennen gemeldet, dementsprechend viel war auch auf dem Startgelände geboten. Die Einteilung in die Startblöcke war gut gelöst und wir standen alle 5 Minuten vor dem Start gut sortiert und ziemlich durchgefroren am Start. Das Thermometer zeigte nur 6°C bei einem eisigen Nordwind, jedoch versprach der blaue Himmel einen perfekten Renntag. Pünktlich um 09:15h fiel der Startschuss, das Feld bewegte sich langsam nach vorne, einmal links, einmal rechts und dann ging es auch gleich auf ein abgesperrtes Stück Autobahn-> Bäm. Vollgas. Bereits nach 43 Rennsekunden zeigt mein Tacho 58Km/h – Tendenz: steigend. Ich hatte mir im Vorfeld viele Gedanken gemacht, wie ich die ersten flachen 40 Km angehen möchte. Eigentlich wollte ich mich in Geduld üben und eher vorsichtig mitfahren, doch daran war hier nicht mehr zu denken. Das Racefeeling hat mich sofort gepackt und war grandios! Ich merkte schnell das hier gleich richtig aussortiert wird, also suchte ich die Flucht nach vorne und reihte mich im vorderen Drittel ein. Das Rennen läuft.

Von der Autobahn schießen wir nach Downtown Frankfurt, im Feld ist es extrem hektisch. Bei einer Schienenüberquerung kommt es zum ersten Sturz, rechts vorne im Feld bildet sich sofort ein Mensch-Carbon-Klumpen – paniert mit jede Menge Geschrei…ich komm gut dran vorbei und fahre weiter. Die Konzentration ist extrem hoch. Die zahlreichen Kurven, Schienen und Bordsteine verlangen einem alles ab. Ich sehne mich nach dem Feldberg. In Oberursel machen wir die ersten 40Km voll, dafür haben wir grade mal 51 Minuten gebraucht. In der Fußgängerzone ist schon eine tolle Stimmung, viele Zuschauer machen ordentlich Lärm – ein echt tolles Gefühl. Man merkt richtig das die Leute in der Region nach der Absage des Rennes im letzten Jahr einen ordentlichen Radsporthunger haben und das zeigen sie auch deutlich.

Nach der Ortsdurchfahrt steigt die Straße langsam an und der Feldberg kündigt sich an. Das Tempo wird langsamer und keiner will mehr führen. Wieder entscheide ich mich für die Flucht nach vorne, fahre raus und gehe als erster in die Steigung. (Alleine für dieses Gefühl hat sich der Start schon gelohnt.) Es folgen 11Km voller Tempowechsel und kleinerer Angriffe am Berg. Ein paar Teams haben noch mehrere Fahrer dabei und üben sich in taktischen Spielchen. Ich versuche alles mitzugehen und bleibe in der Spitzengruppe unter den ersten 20 Fahrern bis zum Gipfel. Vom Feldberg wieder runter,  folgen noch 2 kleinere und eine längere Anstieg.  Auf den kleinen Gipfeln herrscht überall tolle Stimmung, Adrenalin pumpt durch die Adern und mich nach vorne. Nach dem Ruppertshain kann ich auf der Abfahrt kurz durchatmen, Systemcheck.. alles noch gut! Zum ersten Mal in diesem Rennen drehe ich mich um und sehe – nichts. Ok, ich habe es wohl tatsächlich in die Spitzengruppe geschafft. Unglaublich. Es folgt ein lustiges Wellenreiten durch den Taunus, das Profil macht großen Spaß und fordert mir alles ab. Es fallen immer wieder andere Fahrer hinten raus. Unsere Gruppe funktioniert gut, wenn es die Straße zulässt fahren wir im Kreisel und alle beteiligen sich an der Führungsarbeit.

Ein Begleitmotorrad zeigt uns an, dass wir rund 01:30Min Vorsprung vor unseren Verfolgern haben.. noch 20 Km zu fahren. Ich weiß dass jetzt keine großartigen Steigungen mehr kommen und versuche etwas runterzukommen, Essen, Trinken, durchatmen. Ich zähle durch: 17 Fahrer – viele sehen schon ziemlich mitgenommen aus- ich wahrscheinlich auch, fühle mich aber noch recht frisch. Langsam verlassen wir das Taunusgebirge und kommen wieder ins Flachland. Es geht durch viele kleine Ortschaften, auch hier sind die Straßen wieder gesäumt mit Zuschauern, die natürlich in erster Linie auf die Profis und die Lokalmatadoren John Degenkolb und Tony Martin warten, aber trotzdem auch für uns einen Höllenlärm machen. Der Wind bläst stark aus nördlicher Richtung, immer wieder kommen Böen die uns fast von der Straße fegen.

Restdistanz: 8 Km, noch sind alle ruhig und ich mache mir Gedanken wie das hier zu Ende gehen soll. Massensprint? Nee, da hab ich keine Chance. Also bleibt mir nur (wiedermal) die Flucht nach vorne. Circa 6 Km vor dem Ziel fahren wir auf einer breiten Landstraße mit starken Seitenwind von links, ich sehe am Horizont, dass wir gleich rechts abbiegen und dann Rückenwind haben werden. >Das ist eine Chance<, denke ich und greife rund 400m vor der Kreuzung an. 2 Fahrer gehen mit mir, der Rest zeigt keine Reaktion. Ich trete voll drauf… all out, einmal scharf rechts und weiter mit Rückenwind… geil – es hat funktioniert. Wir sind zu dritt und schießen mit fast 50 Sachen im Kreisel über die abgesperrte Autobahn ->Radsportlertraum.

Die anderen scheinen kein Interesse an der Nachführarbeit zu haben, wir haben gleich einen riesen Vorsprung. Meine beiden Kollegen und ich arbeiten gut zusammen und wir verzichten bis zur Flame Rouge auf Spielereien. Ich schau mir die beiden an, beide rund 1.85m groß und eher vom bulligeren Typ. Mit Sicherheit bessere Sprinter als ich. Also – Flucht nach vorne Nummer 4. Bei der 350m Marke trete ich nochmal an, merke jedoch schnell, dass da nicht mehr viel geht –der letzte Angriff hat wohl doch zu viel Körner gekostet – die beiden Kollegen schießen kurz vorm Ziel an mir vorbei – ich werde Dritter. Schade, doch das ist schon millionenfach mehr als ich mir jemals ausgemalt hatte. Ich freue mich riesig darüber, gratuliere meinen Kollegen, die sich wiederum bei mir für den Angriff bedanken. Ein echt faires Rennen mit sehr vielen glücklichen Gesichtern. Wir unterhalten uns noch eine Weile und als Dirk, der Sieger des Rennens den Helm abnimmt traue ich meinen Augen nicht. Das ist Dirk Müller, der 2006 Deutscher Meister bei den Profis war. Wahnsinn. Echt ein netter Kerl und bestimmt ist er heute auch nicht voll gefahren 😉

Ich fahre noch ein wenig aus und kann es immer noch nicht glauben was da heute passiert ist. Stolz wie B4olle nehme ich bei der Siegerehrung meinen Pokal entgegen und gewinne sogar noch die Altersklassenwertung. Als besonderes Highlight gibt’s ein Küsschen auf die Wange von Laura Degenkolb, der Frau von John- die schon seit vielen Jahren in der Organisation des Rennens tätig ist 🙂 Nach der Siegerehrung schau ich mir bei einem 3-Gänge Menü (Pommes, Crêpes, Eis) noch einen Teil des Profirennens an, welches auf dem Gelände auf Großleinwand gezeigt wird.. sehr schön!

Hier noch ein paar Renndaten: 108Km, 02:50:52h, 1489Hm,  37,15km/h, 292W avg

Insgesamt eine sehr schöne Veranstaltung mit zivilisierten Teilnehmern, was natürlich auch immer wichtig ist. Alle sind relativ fair gefahren, Überschüssiger Nasen- und Mundinhalt wurden (meistens) rücksichtsvoll entsorgt… und ich persönlich hab auch nur einen Sturz mitbekommen. Gute Streckenführung, lediglich die Begleitmotorräder hätten meiner Meinung nach ab und an mal etwas rücksichtsvoller fahren können.

Ein Tipp für alle die mal ein bisschen was vom großen Radsportzirkus sehen wollen und nicht allzu weit dafür fahren wollen!

Die Gesamtwertung und viele Infos gibt es hier: http://www.eschborn-frankfurt.de/de/jedermann/aktuelles/