Paris-Roubaix Challenge – oder mein Ritt durch die Hölle des Nordens

20160408_160006Radsport Monument, die Königin der Klassiker oder Hölle des Nordens – alles große Namen für einen einzigen Tag im Radsportfrühling. Paris Roubaix fasziniert schon immer. Hier wurden und werden große Namen gemacht, Karrieren begonnen und beendet – Glück und Pech liegen nicht weiter von einander entfernt als ein Pflasterstein neben dem anderen. Kurzum: Dieses Rennen ist was ganz besonderes. Mich persönlich fasziniert dabei schon immer die Ehrlichkeit des Rennens. Bedingt durch die Streckenführung und die Beschaffenheit des Untergrunds sind keine großen taktischen Spielchen der Teams möglich- kein langes Geplänkel – die Favoriten sind meistens auf sich alleine gestellt und es gewinnt der mutigste Mann mit den meisten Körnern und ordentlich Dampf im Kessel – ein offener Schlagabtausch – Radsport in seiner Reinsten Form- herrlich. Grund genug für mich mal selbst zu spüren was den Profis an diesem Tag so durch den Kopf, die Beine und die Handgelenke geht.

20160408_173434       20160408_174052        20160409_134145

Ein Glück bietet die A.S.O. seit ein paar Jahren eine Jedermannversion des Rennens an. Auf verschiedenen Strecken (75/145/172) kann im Grunde Jedermann(und –frau) einmal die berühmten Kopfsteinpflasterpassagen unter die Räder nehmen. Ich entschied mich in diesem Jahr die Herausforderung anzunehmen und fühlte mich nach einer guten Crosssaison auch ganz gut auf das Geläuf vorbereitet. 172Km Gesamtdistanz mit allen 27 Pavéabschnitten die auch von den Profis durchpflügt werden, macht insgesamt knapp über 53km nordfranzösische Buckelpiste.

Freitag: 08.04. Ankunft in Roubaix. Räder an jeder Ecke. Keine schöne Stadt, aber man fühlt sich als Radsportler irgendwie gleich zu Hause. Am Velodrom angekommen überfällt mich eine multiple Reizüberflutung. Tausende von Menschen, jeder zweite mit einem Rad in der Hand,  jeder will ein Stück vom geschichtsträchtigen Kuchen abhaben, man könnte meinen, es wäre ein Ufo inmitten der Kleinstadt gelandet. Foto hier, Staunen da, Kaffee, Bier, Merchandising – gefühlt alles gibt es mit Pflastersteinlogo. Ich sauge die Atmosphäre kurz in mich auf, zwei-drei Schnapsschüsse und entschließe mich dann für den kurzen Weg zur Anmeldung, hole mein Starterpaket ab und fahre Richtung Hotel, welches 4km weiter im Stadteil Tourcoing liegt. Ich ziehe mich schnell um und rolle noch 60 Minuten mit dem Rad durch die Stadt. Danach ging es schnell: Essen, Trikottaschen packen, Klamotten richten…leichte Aufregung macht sich breit, jetzt schnell schlafen.. draußen regnet es Bindfäden…toll…..das Hotelfernsehen hat genau 1 deutschen Sender: Sat.1 (whaat?)

Samstag 09.04.03:48h – der Wecker klingelt. Ziemlich unruhige Nacht. Kurz Duschen, anziehen, Essen. Ich esse ja wirklich gerne (alle die mich kennen wissen das sehr gut), aber das ist keine gute Zeit für eine große Schüssel Haferflocken mit Banane.. naja, rein damit- später bin ich bestimmt froh darüber. Zumindest ist es trocken, das Thermometer meines Tachos zeigt 4°C – zum ersten Mal an diesem recht jungen Tag frage ich mich warum ich mir das antue. Vor dem Hotel hat sich schon ein Gruppetto von rund 30 Leuten gebildet – alles Briten, wir rollen die 4 Km durch die noch schlafende Stadt, leichte Neblschwaden durchziehen die Straßen. Die Stimmung ist mystisch – die orangene Straßenbeleuchtung vermischt sich mir immer mehr werdenen roten Blinklichtern an Sattelstützen die alle wie ein Magnet vom Velodrom angezogen werden. Ich fühl mich wie eine Motte (eine müde Motte) die zwar nicht weiß warum, aber trotzdem unbedingt ins Licht fliegen will. 888Am Shuttlebusbahnhof angekommen treffen 1022 Radsportler auf 36 Busse mit Radanhängern, ein tolles Bild. Mitten in diesem Ameisenhaufen aus Aluminium, Carbon und Goretex, mit einer leichten Brise Aufwärmöl in der Nase, finde ich meinen Bus #36. Die Busfahrt zum Zielort Bousigny dauert rund 1,5 Stunden, während der Fahrt geht sie Sonne auf und Frankreichs Norden zeigt sich von seiner schönsten Seite.. Strahlend blauer Himmel, von Hölle keine Spur. In Bousigny angekommen geht es endlich los. Aufgrund der großen Teilnehmerzahl erfolgt der Start frei, sprich jeder kann selbst entscheiden wann es losgeht- einmal über die Zeitnahmematte drüber gibt es kein Zurück mehr.20160409_080230

08:02:33 mein persönlicher Startschuss. Die ersten 13,5 Km sind Pavéfrei – dafür wellig und schnell. Ich fahre mich warm und gebe dann gleich Gas. Unter 05:30 ist mein Tagesziel. Ich schließe mich einer Gruppe an und wir schießen mit über 40 Sachen Richtung Roubaix. Das erste Pavé kommt näher, von der breiten Landstraße geht es scharf links in einen unscheinbaren Weg, nur ein Grenzstein mit der Aufschrift „PAVÈ DU PARIS-ROUBAIX“ spickt aus dem hohen Gras, das Banner mit der roten #27 läutet den Beginn ein und wirkt wie das Tor zur Hölle.

2_k     32487403_k     666

Alle sind nervös, inklusive mir.. ich bügel mit 30 Sachen über das Pflaster und tauche ein in ein Meer von Trinkflaschen, Satteltaschen und anderen Kleinteilen ein – denen Auszuweichen ist fast die schwierige Aufgabe- bereits nach 30 Metern die ersten Fahrer am Streckenrand mit defekt Reifen. Überall knallt und knarzt es – mich überfallen kurze Zweifel ob meine MAterialwahl richtig war (Alurahmen, Mavic Ksyrium Elite + Challenge Paris-Roubaixreifen 27-622 bei 5,2bar) Unglaublich diese Erschütterungen,  es ist wesentlich intensiver als ich es mir vorgestellt habe.. eigentlich kann man hier kein Rad fahren, denke ich.

Ich weiß gar nicht so genau wie man das Pflaster beschreiben soll, aber ich muss an eine Muffinbackform denken, die man falsch herum auf den Boden legt und dann versucht nicht in den Zwischenräumen zu fahren. Doch mein Rad funktioniert. Flaschen sind fest, Reifen fühlen sich gut an- die anfänglichen Zweifel schwinden – ich drück drauf und fühl mich gut. Nach den ersten 3 Abschnitten merke ich jedoch wie die Unterarme und Handgelenke bereits schmerzen. Das Tempo ist weiter hoch und ich springe dank eines Landsmannes aus Hamburg von Gruppe zu Gruppe. Es ist ziemlich viel Verkehr, immer wieder Leute mit Defekt oder Stürze. Der Junge Mann vom Radsportclub des F.C. St. Pauli hat eine unglaubliche Technik und schenkt mir ein tolles Hinterrad durch die kommenden Pavéabschnitte, wir schnakken ein wenig und ich erfahre dass er zum ersten Mal hier fährt aber seine Technik vom Crossen kommt – er kann alles nur nicht bergauf fahren… geiler Typ.32507727_k# Er gibt mir den Tipp auf dem Pflaster Unterlenker zu fahren. Nach 50Km die erste Verpflegung die wir nutzen um (gefühlte) 300 Fahrer hinter uns zu lassen. Endlich freie Bahn. Nach knapp 80Km das erste Highlight, der Wald von Arenberg  (Trouée d’Arenberg). Hier ist es noch sehr feucht, das Pflaster unglaublich rutschig- plötzlich ein Sturz vor mir – mein Hamburger Kollege kommt links dran vorbei, ich muss stark bremsen, schlage einen Haken nach rechts und rette mich irgendwie noch vor dem Einschlag auf dem moosigen Boden. Leider hab ich den Anschluss an meinen „Anfahrer“ verloren, ich hole kurz Luft und fahre das Pavé locker fertig. Ich kann mir nicht vorstellen wir man hier mit 30-35Km/h drüber fahren kann, mein Tacho zeigt 19 an und ich fühle mich schon ganz nah am physikalischen Ende der Reibhaftung.

Kurz danach finde ich eine ganz gute Gruppe aus 7 Italienern mit denen ich die nächsten 30Km fahre… in den vielen kleinen Städtchen erkennt man schon die Vorbereitungen für den großen Tag. Fensterläden werden gestrichen, Straßen gekehrt, Häuserfassaden gereinigt, alles soll glänzen wenn sich Tom Boonen und Co. die Ehre geben. Und eines muss man den Franzosen lassen, hier wird tatsächlich „Jedermann“ angefeuert, echt ein tolles Gefühl.

110Km sind geschafft, meine Kollegen aus Italien bleiben am 3. Verpflegungspunkt stehen- ich fahre durch und esse unterwegs. Der Wind ist mittlerweile stärker geworden, kommt aber meistens von der Seite. Die Pflaster haben ihre Spuren hinterlassen, Schmerzen überall, ich fühle mich wie durch den Fleischwolf gedreht. Ich glaube mein Steuersatz hat sich etwas gelöst, entscheide mich aber weiterzufahren. Pavé #9 ist sehr eng und mit einer leichten Schlammschicht überzogen, ich versuche die Trittfrequenz und das Tempo –  hoch zu halten. Geschwindigkeit heißt auch Stabilität – so zumindest meine Erinnerung aus der Dynamikvorlesung. Doch dann, bei einem Überholmanöver passiert es: Ich bleibe mit dem linke Pedal im lehmigen Rand hängen.. Zack- einmal über den Lenker und ich lande recht weich im aufgeweichten Acker. Autsch-Ok, kurzer Systemcheck: Alles noch dran. Mein Rad hats auch überlebt – Glück gehabt. Ich klopfe den Dreck ab und steige wieder auf den Bock, meine Knie schreien nach Gnade.. noch knapp 25km.32505465_k

Die Orte die ich jetzt durchquere motivieren mich, ca. 20Km vor dem Ziel biege ich in das Carrefour de l’Arbre ein, der Abschnitt in dem meistens die Rennentscheidung fällt- Bewertet mit 5 Sternen und ein echter Gabelbrecher. Ich muss an Cancellara denken und an sein Solo hier 2013. Kurz danach der Abschnitt an dem Dege letztes Jahr entschieden hat nach vorne zu fahren.. Alles tolle Tagträume die mir helfen das durchzustehen und plötzlich sehe ich auch schon den Abschnitt #2 vor mir, der letzte >echte< Pflasterabschnitt. Mit 2 Sternen zwar verhältnismäßig harmlos aber mittlerweile merkte ich jedes Staubkorn unter dem Lenker. Ich hab immer gesagt „Der Tag an dem ich Handschuhe zum Rennradfahren anziehen muss noch kommen.“ Nun war er da und ich hab trotzdem blasen auf den Handballen- egal- weiter geht’s. Aus den Abschnitt raus- noch 10 Km. Meine italienischen Mitfahrer stoßen von hinten wieder zu mir auf, sie schießen vorbei und rufen „Alleeee, Alleeee“.. ich schalte noch mal hoch, und schließe auf – eine scharfe Rechtskurve über Pflastersteine und dann taucht der letzte Anstieg vor uns auf, rund 4-5% für knapp 500m- ich geh aus dem Sattel und ziehe an der Gruppe vorbei – einer aus der Gruppe schreit irgendwas mit „Bambino“ und ich höre hinter mir nur Schaltungen knallen… Ich bekomme einen unglaublichen Andrenalinschub, zieh voll durch –  34km/h auf Uhr – oben angekommen brennt alles – alle hecheln und pumpen heftig. Jeder weiß jetzt komm nur noch die Kür. Der letzte Kreisel, scharf rechts – dann passieren wir das Ortsschild von Roubaix. Der letzte Pavéabschnitt ist nur noch pro forma, ein Stern direkt vor der Einfahrt ins Velodrom – der Boden ist gepflastert mit großen Steinen, jeder Sieger bekommt einen mit seinem Namen drauf. Die Namen Degenkolb, Boonen, Mercx schießen an mir vorbei. Unter der Flamé Rouge durch, letzte Kurve scharf rechts ins Velodrom, viele Zuschauer stehen an der Einfahrt. Bääm! was ein Gefühl! Ein eiskalter Schauer überkommt mich. Ich bin so geflasht das ich nicht merke, das die Gruppe zum Zielsprint angezogen hat. Egal, ich will es genießen- rolle langsam durch… fertig. Eine junge Dame winkt mich in eine mit Gittern abgetrennte Spur, ich halte an. Sie hängt mir eine Medaille um und drück mir eine schwere Stofftasche in die Hand.

555       20160409_154010       20160409_134244

Ich bin überglücklich, dass war zwar sicher der härteste Ritt den ich jemals unternommen hab, aber es hat sich gelohnt. Prall gefüllt mich Emotionen und Eindrücken mache ich mich auf den Weg ins Hotel, mit einem Dauergrinsen rolle ich durch den Stadtverkehr- die Schmerzen sind jetzt erstmal vergessen. Das einmal erleben zu dürfen ist wohl mehr Wert als jeder Wettkampfsieg. Am Hotel schau ich meine Werte durch 05:11h , 33er Schnitt.. kann man lassen 🙂 In der Stofftasche: Ein kleiner Pavépokal, ein Traum geht in Erfüllung.

Warum ich mir das antue: Ähm, weil. Würde ich es wieder tun: Irgendwann bestimmt. Zum Abschluss noch die obligatorische Dusche im Velodrom und ein großes Pain de fromagé!